Wenn man die Schlagzeilen der letzten Jahre nebeneinanderlegt, fällt ein bemerkenswerter Gegensatz auf: In den USA spricht Donald Trump vom Frieden, während die EU-Eliten beharrlich vom Waffenstillstand reden. Das klingt zunächst nach zwei ähnlichen Konzepten – beide wollen das Blutvergießen beenden. Doch in Wahrheit steckt darin ein fundamentaler Unterschied. Frieden bedeutet Abschluss, Klärung, Neubeginn. Waffenstillstand bedeutet Stilllegung, Verschiebung, Aufrechterhaltung von Bedrohung. Genau dieser Unterschied ist entscheidend, wenn man die Hypothese ernst nimmt, dass es Machtstrukturen gibt – oft als „tiefer Staat“ bezeichnet –, die Krieg nicht nur erdulden, sondern geradezu benötigen.
Der Krieg als Herrschaftsinstrument
Krieg, oder genauer: die Drohung des Krieges, ist ein universelles Herrschaftsmittel. Er legitimiert Sonderrechte, erlaubt gigantische Budgets für Militär und Sicherheit, schafft Feindbilder, die Opposition delegitimieren. Vor allem aber hält er Gesellschaften in einem Dauerzustand der Angst und Abhängigkeit. Wer Krieg kontrolliert, kontrolliert nicht nur Territorien, sondern auch Narrative und Loyalitäten.
Hier liegt der entscheidende Punkt: Ein echter Friedensvertrag würde all das zerstören. Er würde Normalität wiederherstellen, Handelsbeziehungen öffnen, Blockkonfrontation auflösen. Mit einem Frieden verschwindet das „Feindbild“, und damit auch die Legitimation für jene Strukturen, die vom Ausnahmezustand leben. Ein Waffenstillstand hingegen ist das perfekte Werkzeug: Er beendet das Morden, aber nicht die Bedrohung. Er friert ein, ohne zu lösen. Er ist jederzeit reaktivierbar, lässt Spielräume für Eskalation, und erlaubt es, die Bevölkerung in dauerhafter Spannung zu halten.
USA vs. Europa: zwei entgegengesetzte Dynamiken
Warum aber spricht Trump vom Frieden, während Europa den Waffenstillstand favorisiert? Die Antwort liegt in der ungleichen Stellung des tiefen Staates in beiden Machtzentren.
In den USA hat der tiefe Staat seit Jahren an Schlagkraft verloren. Trump, aber auch andere populistische Strömungen, haben es geschafft, ihn zu schwächen. „Endless Wars“ – die endlosen Interventionen im Irak, in Afghanistan, in Libyen – sind innenpolitisch zum Makel geworden. Das US-Militär selbst ist kriegsmüde, und die Bevölkerung will mehrheitlich keine neuen Auslandseinsätze. Für Trump ist deshalb Frieden das perfekte politische Projekt: Es bringt ihm Zustimmung, und es entzieht dem Establishment die Ressource Krieg. Frieden bedeutet hier: den Apparat aushungern.
In Europa ist die Lage fast spiegelverkehrt. Hier hat der tiefe Staat – wenn man darunter das Geflecht aus EU-Bürokratie, transatlantischen Eliten, sicherheitspolitischen Netzwerken und Rüstungslobby versteht – kaum Macht verloren. Im Gegenteil: Der Ukraine-Krieg ist für ihn das Bindemittel, das Integration, Zentralisierung und Abhängigkeit rechtfertigt. Waffenstillstand ist für die EU das ideale Instrument, weil er einerseits die Bevölkerung beruhigt („die Waffen schweigen“), andererseits aber die Bedrohung durch Russland festschreibt. Frieden würde Europa öffnen, es unabhängiger von den USA machen, wirtschaftliche Normalisierung mit Russland erlauben. All das wäre brandgefährlich für jene, die ihre Macht aus der transatlantischen Abhängigkeit ziehen.
Historische Präzedenzfälle
Die Präferenz für Waffenstillstände hat Geschichte. Korea 1953: Bis heute nur ein Waffenstillstand, nie ein Friedensvertrag – Ergebnis: dauerhafte US-Präsenz, permanente Rechtfertigung für gigantische Militäretats, eine Region als Pulverfass konserviert. Nahost: wiederholt Waffenstillstände, kaum echte Friedensschlüsse – die Instabilität sichert Großmächten Einfluss und Präsenz. Das Muster ist klar: Waffenstillstand ist konservierte Spannung, Frieden ist aufgelöste Spannung. Wer vom Konflikt lebt, wird immer den Waffenstillstand bevorzugen.
Zwei politische Sprachen
Hier wird die Rhetorik entlarvend:
- Trump spricht von „Deal“ und „Frieden“. Seine Sprache ist final, auf Abschluss ausgerichtet.
- Die EU spricht von „Waffenruhe“ und „Einfrieren“. Ihre Sprache ist provisorisch, auf Dauerstellung ausgelegt.
Beide Begriffe sind politisch gewählt. Frieden klingt wie Befreiung, Waffenstillstand klingt wie Verwaltung. Frieden nimmt der Elite das Instrument, Waffenstillstand bewahrt es.
Warum Europa den Konflikt braucht
Für die EU hat der Ukraine-Krieg eine doppelte Funktion. Erstens: Er hält das Feindbild Russland präsent und verhindert jede eigenständige europäische Sicherheitsarchitektur, die vielleicht auch auf Ausgleich setzen würde. Zweitens: Er bindet Europa enger an die USA, ökonomisch wie militärisch. Drittens: Er ermöglicht eine innenpolitische Agenda, die auf Ausnahmezustand, Disziplinierung und steigende Rüstungsausgaben setzt. Ein Friedensvertrag wäre für dieses Gefüge tödlich. Ein Waffenstillstand hingegen konserviert den Status quo – mit allen politischen und ökonomischen Vorteilen für die bestehenden Machtzentren.
Das Paradox: Frieden als Gefahr
So ergibt sich das paradoxe Bild: Frieden, der eigentliche Wunsch der Menschen, ist für die Eliten die größte Bedrohung. Er würde ihnen das Instrument nehmen, mit dem sie Narrative kontrollieren, Budgets sichern und Gegner delegitimieren. Waffenstillstand hingegen ist die goldene Mitte: Er sieht nach Deeskalation aus, ist aber in Wahrheit eine Verlängerung des Krieges – nur ohne tägliche Schlagzeilen aus dem Schützengraben.
Fazit
Die unterschiedlichen Präferenzen – Trump auf Frieden, EU auf Waffenstillstand – lassen sich also nicht mit „Stilfragen“ erklären, sondern mit Machtlogik. In den USA ist der tiefe Staat geschwächt, Frieden dient als Waffe gegen ihn. In Europa ist der tiefe Staat stark, Waffenstillstand dient als Waffe für ihn.
Wer diese Dynamik versteht, begreift auch, warum Waffenstillstände in der Geschichte so viel häufiger sind als Friedensverträge: Sie sind der Kompromiss zwischen der kriegsmüden Bevölkerung und der kriegshungrigen Elite. Und vielleicht auch der ehrlichste Ausdruck unserer Gegenwart: Wir wollen das Töten beenden – aber wir sind nicht bereit, den Krieg loszulassen.